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Eröffnung des fünften und sechsten Siegels
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Dürer hat bei diesem Bild zwei Ereignisse zu einer Komposition zusammengenommen und den Stoff in einer eindrucksvollen und dramatischen Art dargestellt. Die räumliche Trennung von Szenen im Himmel geschieht durch ein zartes Wolkenband, aus dessen Mitte - wie bei einem sich teilenden Vorhang - zwei kräftige Wolkengebilde entstehen. Sie haben eine dreifache Aufgabe, einmal Raum zu schaffen für das Strafgericht auf Erden, für eine sinngemäße Darstellung von Sonne und Mond, denen eine bestimmende Rolle zukommt, und vor allem um eine glaubhafte Überleitung zwischen den beiden Vorgängen im Himmel und der irdischen Schreckensszene herbeizuführen.

Die Himmelskörper Sonne und Mond sind nach altem Vorbild mit menschlichen Gesichtern dargestellt, diese Gestaltung war eine Notwendigkeit denn die TextsteIle besagt ausdrücklich: "... die Sonne ward schwarz wie ein härener Sack und der Mond ward wie Blut!"

Eine richtige Interpretation wäre hier ein Ding der Unmöglichkeit, deshalb löste Dürer das komplizierte Problem der Farbwiedergabe durch die Vermenschlichung der Himmelskörper. Er begnügte sich daher nicht mit einer einfachen anthropomorphen Darstellung, vielmehr versuchte er in die Gesichter jenen Ausdruck des Entsetzens hineinzulegen, der die Vorstellung eines blutigen Mondes und einer sich verdunkelnden Sonne widerspiegelt.
Um einen solchen Eindruck zu gewinnen, setzte Dürer die Sonne aus zwei Teilen zusammen, vorne das Antlitz mit den nach allen Seiten lodernden Feuerzungen, dahinter die langen, spitzen Strahlen, die gegen den Mittelteil immer dunkler werden und dadurch den Vorgang einer Sonnenfinsternis veranschaulichen. Dürer umrandet das Gesicht nicht in der traditionellen Art sondern setzt einfache aber wohlüberlegte Querstriche ein, die nicht nur für die Modellierung der Kopfform ausschlaggebend sind, sondern auch eine Plastizität vermitteln. In der stark gekrümmten Mondsichel sieht man ein markantes männliches Profil mit schmerzvollem Ausdruck.
Um die Sichel herum wird die weiße Fläche zu einer Art Lichthof, der in spitze Lichtstrahlen übergeht und als Gegenstück zu der sich verdunkelnden Sonne sinnvoll zum Ausdruck kommt.


Der gigantische Sternenfall, der sich in der Mitte des Bildes Bahn bricht, ist ein Naturereignis, das sich durch den Holzschnitt nicht mehr steigern läßt. Die fallenden Sterne sind züngelnden Flämmchen gleich, die bald auf hellem, bald auf dunklem Grund erscheinen und tatsächlich den Eindruck der Bewegung erzeugen. Um das Maß der Schrecken voll zu machen, läßt der Text zu dieser Vision auch noch die Schluchten der Erde, in denen die Menschen Schutz suchen, durch ein Erdbeben erschüttern.

Einen elementaren Vorgang wie ein Erdbeben graphisch darzustellen, ist eine fast unlösbare Aufgabe. Dürer hat dieses Naturereignis zum Ausdruck gebracht, indem es in den verzweifelten Gebärden der am Boden kauernden Menschen mehr gefühlt bzw. erraten werden muß, als daß es sinnlich wahrnehmbar in Erscheinung treten würde.

Das Unglück der Menschen, die sich im Augenblick des Strafgerichts verstecken wollen, ohne die Sinnlosigkeit ihres Tuns zu bedenken, kommt am eindrucksvollsten bei der am Boden kauernden Frau zum Ausdruck. Von den Folgen des Weltgerichts aber sind die weltlichen und kirchlichen Würdenträger nicht ausgenommen. Dementsprechend hat Dürer in etwas polemischer Art Kaiser, Papst, einen Bischof und zwei Mönche, zwischen den Felsen kauernd, mit schreckerstarrten Gesichtern dargestellt. Sonne und Mond sind die Urheber des natürlichen Lebens und jeder Mensch ist ihrem Rhythmus bzw. Zyklus unterworfen. Die Unmittelbarkeit der tragischen Vorgänge, die sich in dieser Vision darstellen, wirken nicht nur überzeugend und beeindruckend, sie erheben uns unmittelbar, mehr unbewußt, in die überirdische Welt. Nach apokalyptischer Tradition stellen die Bilder im Himmel Märtyrerszenen dar. Nicht so bei Dürer, er gibt seinen Gestalten im Himmel Trost und Verheißung für die Zweifel der Gegenwart.

Die Übergabe von weißen Gewändern bezeichnet nicht eine äußere Hülle, sondern ist ein Symbol der Seligkeit in einem verklärten Leib, d.h. einer reinen Seele. Denn es steht geschrieben:" Die Seligen stehen unter der Obhut heiliger Engel bis ans Ende der Tage." Der Gedanke des Martyriums lebt nicht nur im frühen Judentum, sondern auch am Beginn des Urchristentums; er ist mehr eine apokalyptische Umformung von Erfahrungen oder erahnten "Plagen" der Gegenwart und Zukunft.. Theodor Mommsen schrieb zu diesem Thema folgende bemerkenswerte Worte: "Den Krieg gegen die Heiligen haben erst die Späteren, denen Johannes Worte nicht genügten, hinein interpoliert."